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Zukunft mit Kompetenz - Das richtige Maß (2)

Warum messen wir mit ungleichem Maß?

von Marcus H.V. Lohr

Lesezeit: 5 Minuten (1.000 Wörter)

Wer das hier nicht liest, weiß nicht, warum Madame Pompadour Recht hatte: Nach uns die Sintflut.

Im letzten Blog „Das richtige Maß (1)“ schlossen wir mit Einstein als Problemlöser ab. Jetzt kommen wir zu einigen Verursachern dieser Probleme. Weil die Metapher „Der Fisch stinkt vom Kopf“ am häufigsten zutrifft, sollten wir auch vom Kopf unserer Systeme beginnen.

 

„Der Fisch stinkt ... 

vom Kopf“

Der Kopf der Systeme, die unsere Gesellschaft bestimmen, ist die Wirtschaft. Die Köpfe der Wirtschaft sind die Chefs. Viele Unternehmens-Chefs – insbesondere die angestellten Chefs … viel weniger die nachhaltiger, weil generationsübergreifend wirtschaftenden Familienunternehmen – sind immer noch zu einseitig rein auf homo oeconomicus konditioniert, so etwa wie die Hunde von Pawlow, denen das Wasser im Munde zusammenlief, als ein Futterglöckchen läutete. In den Chefetagen der meisten Großkonzerne gilt immer noch weitgehend unverändert und unsensibel: „Alles was dem Bonus dient“.

Viele Politiker sind auch entsprechend trainiert: „Alles, was der (Wieder-)Wahl dient“. Wahlen dienen in einem solchen Ansatz der Stimmenmaximierung mittels Wahlgeschenken. Was der Bonus für den Vorstand sind die Wahlprozente für die Politiker. Jede Wählerstimme ist bare Münze für die Partei. Nach jeder Wahl klingelt die Kasse. „Ökonomische Theorie der Politik“, nennt man das.

Die Amerikaner machen das wenigstens transparenter: Dort gibt es RiiiESIGE Wahlspenden im Wahlkampf von Lobbys, die „ihre“ Kandidaten durchbringen möchten. Wenn sie dann gewählt sind, sind die Überraschungen kleiner, weil man ja wusste, was vorher bezahlt und gekauft wurde. … Wir sehen, wohin das führt. Zu Lösungen der Probleme nicht.

 

Möglicherweise gibt es gerade in Deutschland in der Politik ein paar Vorbilder, die das verstanden haben und zum Positiven ändern wollen. Dabei müssen sie zwischen Krisen und Sachzwängen einen enormen Spagat machen.

Bildnachweis: siehe Artikelende

Ich persönlich zähle Politiker wie Robert Habeck, Karl Lauterbach oder Annalena Baerbock hierzu. Sie erklären Politik. Sie erklären auch die Schwierigkeiten, Einschränkungen und Entscheidungskonflikte.

Wer gute Beispiele für diese neue Kultur hat: gerne her damit. Wir finden hier bei upcycl-ing.de, dass wir gute Ansätze fördern und verbreiten sollten.

 

Die Maßnahmen der Mainstream-Akteure liegen dagegen mit hohem Fokus auf kurzfristigen Ansätzen. Das ist – um die Ernährungsmetaphern weiter zu bemühen – viel „kurzkettige zuckerhaltige Ernährung“. Die führt zu Übergewicht, Herzverfettung und sonstigen negativen Nebeneffekten mit selbstverstärkenden Wirkungen, kurz: zu Zivilisations- gleich Systemkrankheiten mit enormen Folgekosten, die wir lieber verdrängen und oberflächlich mit Geld zudecken.

Die Metapher aus der Ernährung ist übertragbar auf viele Bereiche in Wirtschaft, Gesellschaft und des persönlichen Lebens.

 

„Nach uns die Sintflut“

Kein Wunder, dass diese Einstellung im Ergebnis wirkt wie „nach uns die Sintflut“.

Oder hat es jemals schwerwiegende persönliche Folgen für „ihn“ gehabt, wenn ein „Großkopferter“ die Zukunft verzockt hat? – Ein Politiker, ein Unternehmenslenker? – Werden einem Putin-Prostituierten Gerhard Schröder (Definition Prostitution: sich gegen Geld verkaufen), einem Zerstörer der Klimawende Peter Altmaier (Altmaier-Delle der Erneuerbaren Energien), einem Betrüger wie dem Volkswagenchef Winterkorn (DieselGate) die gerade nicht verdienten Renten-Versorgungsbezüge empfindlich gekürzt?

Warum schützen wir diese Zerstörer unseres Gemeinwesens und unserer Wirtschaft so sehr?

Da wird dann oft ein medialer Popanz aufgebaut, ob sie „wussten“.

Leute!!! - Gesunder Menschenverstand:

Sie hätten wissen müssen!

Das war ihr Job!

Das ist Übrigens im Wirtschaftsbereich gesetzlich geregelt und vorgeschrieben, im Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 1. Mai 1998. Wörtlich schreibt das Gesetz dazu in § 91 Abs. 2 AktG, nach der der Vorstand verpflichtet wird „geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden“.

Papier ist allerdings sehr geduldig. In der Praxis ist es anders: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Jeder Mittelständler haftet mit seinem privaten Vermögen, wenn er „sein“ Unternehmen (mit Mitarbeitern) in die Insolvenz führt und nicht nachweisen kann, dass er jederzeit ein klares Bild der Lage hatte.

Warum messen wir mit so ungleichem Maße?

Es gibt da also nicht sehr viel Interpretationsspielraum bei den Großen: Entweder war es nicht wollen oder nicht können.

Die Konsequenz ist, dass solche Ansätze systematisch zum Auseinanderfallen von Handeln und Haften führen müssen. 

Wer weitere gute Beispiele für das Auseinanderfallen von Handeln und Haften hat, gerne her damit in die Kommentare oder über sonstige Kanäle.

Handeln ohne Verantwortung! Die Folgen tragen bequemerweise andere. Wie praktisch! Asymmetrische Verteilung des Risikos. „Mein Bonus“. „Meine Wiederwahl“. – „Dein Problem“.

Es nimmt daher nicht Wunder, dass dies zum Geschäftsmodell wird, wenn man merkt, dass man damit durchkommt.

 

Ich hatte 2007 bis 2009 das Privileg in Madrid zu arbeiten, weil es eine tolle Stadt ist mit schönem Wetter, Kultur und tollem Essen. Dort war die Immobilienblase mit besonders heißer Luft gefüllt, bevor sie im Herbst 2008 platzte.  Danach fand ein Kongress mit dem Who is Who der Bankenvertreter statt, der sich mit dieser geplatzten Immobilien- und Finanzblase befasste. Zur Einordnung: In den Rekordjahren um 2000 betrug die Preissteigerung von Neubauwohnungen (vivienda nueva) etwa 24%!  Das bedeutete, die Preissteigerung einer 100.000 €-Wohnung (damals noch Peseten), war teilweise größer als das Jahresgehalt von Hochschulabsolventen (24.000 €). –  Jetzt stand die Frage im Raum: „Hatte das niemand kommen gesehen?“ Die überraschende Antwort erfuhr man nicht auf den Präsentationsfolien und beim Powerpoint-Karaoke, wahlweise auch mit Bullshit-Bingo zu übersetzen. Das hätte ja Verantwortliche möglicherweise in den Knast geführt. Die Antwort erfuhr man zwischen den Zeilen und nachher hinter vorgehaltener Hand beim Empfang im Foyer bei dem guten Essen, Wein und Cava an den Stehtischen. – Ich fasse das mal in meinen Worten aus der Erinnerung zusammen: „Natürlich haben wir die Blase kommen gesehen. Ihre Füllung. Ihre steigende Größe. Wenn noch nicht 1996/98, so allerspätestens 2000. … Aber: Was hätten wir denn machen sollen? Als einzelne Bank oder Filiale einer Bank? Aus moralischen Gründen ablehnen? … Wo alle anderen fleißig mit- und weitermachten? … Und wo lag das Risiko? … Beim Aussteigen darin, Wettbewerbsfähigkeit und Marktanteile gegenüber den anderen zu verlieren! Gewinne werden privatisiert! – Beim Aussitzen bis zum Platzen der Blase sehr überschaubares Risiko: Alle im selben Boot, too big to fail, Verluste werden sozialisiert.

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